PROLOG: Es ist ein Schnee gefallen

Bertl in seiner Studentenbude.
Ein Fenster zur Straße, ein Fenster neben der Tür zum Flur. Eine Matratze auf dem Boden, jedoch ein altmodischer Ohrensessel.
Diverse Geräte, offenbar Flohmarkteinkäufe, nicht der letzte Schrei, auch nicht der vorletzte, alles etwa 10 Jahre zurück (Tonband, Trichter-Grammophon, Video, etc.).
An den Wänden hängen eine Posaune und das Bild eines jungen Mädchens (Laura), weiters ein Spiegel.

Bertl (singt): "Es ist ein Schnee gefallen, wann es ist noch nit Zeit,
man wirft mich mit den Ballen, der Weg ist mir verschneit" —
man zwickt mich in die Gallen, der Weg ist mir fast verstellt.

BERTL: Fast. Doch ganz noch nit.
Mal schaun, was der RA schreibt, hier der Wisch,
na, was schreibt mir der Advokat.
(er liest) Delogierung
wegen 36 oder 63 versäumter Monatsmieten.
Oder soll das 93 sein, soviel Monate? Nein!
Das wird etwas mit’m Datum zu tun haben. Ja!
Und daß ich vors Gericht …
und daß ich Folgekosten. Nein!
Und Verzugszinsen, was ist das hier? Unleserlich!
Oder, da ich schon lange nichts Richtiges friß,
soll heißen, zu mir genommen,
meine Sehstörung, das wird es sein.
36, 63 oder 93, wenn ich’s wüßte.
Aber es ist wurscht ohnehin.
(er zerknüllt das Papier und spielt mit dem so entstandenen Ball Fußball)
Gewissermaßen kann ich mich mit dem Staat,
ja nicht nur gewissermaßen, in der Tat, vergleichen. Ja.
Was diese Zahlen betrifft …
Denn in der Zeitung steht, jaja SN, Freitag, 9 Juli 1993,
das wird das Datum sein, na, was sagte ich?
also wie es da steht: nicht blablablabla,
sondern blüblüblüblü — hoffentlich können Sie Türkisch —
also nicht bla etc., wie der Minister ‘s gesteht,
sondern blü. Unglaublich!
Milliarden, Billiarden,
das ist die unvorstellbare Summe jetzt,
die uns in der Staatskasse fehlt.
Nein! Nicht heute. Am ersten April,
oder, nein. Einen Tag früher. Ja.
Ob März 30 oder 31 Tage hat,
wissen Sie, nicht ich.
Das heißt, seither sind wir alle noch weiter verschuldet. Schneeballartig.
Ich sag’s ja.

(er singt, Gstanzl wie zu Beginn)
"Es ist ein Schnee…"

Und wir, nicht nur ich.
An jenem ersten April, oder am Vortag,
hat jeder in unserem Staat,
wieviel, na gut zweihunderttausend öS Schulden,
Auch Sie. Nicht nur ich.
Also, wenn ich es überleg’, dabei sind Kinder, Greise,
und die Schulden steigen leise
von Tag zu Tag,
von Stund zu Stund,
von Minute zu Minute, undsoweiter.
Schauen Sie auf den Sekundenzeiger meiner Uhr.
Damit, sag’ ich, damit also alles zusammengerechnet,
ist mein Soll nicht so viel größer
als der Ihre, Herr Advokat,
oder von jedem, der brav von sich alles erspart,
— wobei bestimmte Advokaten, hier in der Stadt,
wirklich vielfach die Summe auf’m Soll-Konto haben —
Doch wie sagt er’s, der Heilige Bernhard,
jener von Clairvaux: ES IST SCHON IN ORDNUNG
DASS NICHT ALLES IN ORDNUNG IST.
(er denkt nach) Oder hab’ ich es selbst gesagt?
Durchaus möglich.

Bertl singt: Dies Sessel mit die Ohren, ghört auch nit mir und ist uralt
(gesprochen) Der Spiegel ist blank, ja blind.
(gesungen) kaputt ist auch der Ofen,
(gesprochen) Die Aircondi ist auch hin!
(gesungen) die Bude stinkt, ist heiß und kalt; verrottet ist das Fensterbrett,
in dem Loch ist’s ein Gefrett.
Wenn i aufs Klo muß gehen,
muß vor Nachbars Tür i bettelnd stehn,
die Klingel druck i hundertmal
bis mich reinläßt der Hausschakal,
wann niemand ist daheim,
sie machen drauf ein Reim!

(gesprochen) Und selbst die Deckung der Kosten für dies grausige Loch
muß ich danken, na wem.
Doch, weiter als dieses Kloloch
geht der Humanismus nicht.
Wenn ich zum Beispiel Geld für eine Reise,
oder für feineres Papier beantrag’.
Eine Reise auf den Spuren von Hohenheim.
Die Reise, wo der Nil fließt, nein,
der Tigris und Euphrat
und Aleppo erst,
wo Theophrast das Ufer einst betrat,
das Ufer jenes sagenhaften Landes,
das mit dem Goldenen Horn beginnt und aufhört, was weiß ich wo,
ich nehme an, am Ufer des Ganges.

(Bertl singt) "An Wassserflüssen Babylon, da saßen wir mit Schmerzen"

Laß das jetzt, Bertl! Doch mit der Reise also,
was denken Sie, was die dort im Magistrat,
pardon, im Sozialamt, die Beamtinnen
und Beamten
— so muß man es jetzt sagen —
was diese also meinten
zu meinem Antrag. Und wegen dem Papier
— handgemacht und einzeln gebadet die Blätter —
in alter japanischer Manier,
was hab’ ich schon gemogelt und gelogn,
unheilbar krank sei ich,
deswegen so viel Klopapier.
Ich leide sozusagen am Morbus Crohn.
Und das ist nur das Papier,
auf daß ich nicht angeödet mich fühlen muß,
womit das Schreiben meiner Abschlußarbeit,
dran scheitern müßte, ja scheitern muß.
Ach Laura, gib mir ein’ Kuß.
Laura. Gib mir ein’ Kuß. Laura. Wo bist du?
Er pfeift — wir müssen annehmen, daß er einen Hund namens Laura hat.

BERTL:(er bellt lieblich)
Da kommt sie schon! Mein schönes, braves Mädchen.
(während er lieblich bellt und sich zugleich der stürmischen Liebesbekundungen des imaginären Hundes wehrt)
Mein schönes, braves Mädchen.
Gut jetzt. gut, gut.
Mit Grunzellauten und kleinen Kläffern spielt er eine kleine Liebesszene mit dem nicht vorhandenen Hündchen.

BERTL: Gut jetzt. Jetzt geh.
Husch husch ins Körbchen.
(erschöpft) Das ist eine stürmische Lieb’!
Also, wenn ich es Ihnen sagte,
niemand würde mir glauben.
Ich fragte ihn, den Hausbesitzer:
"Bitte verehrter Hausbesitzer",
— eigentlich gar kein Haus besitzt er,
die zwei Wohnungen nur auf diesem Flur —
Davon die ein’ ist dieses Loch.
Früher Dienstzimmer,
ich müßte sagen: Dienstmädchenzimmer,
aber dann sagt man, ich sei ein Chauvi,
also sag’ ich lieber …
Gar nichts sag’ i.
"Hören Sie auf, hören Sie auf"
schrie der Hausbesitzer,
der keiner ist,
"Ein Hund kommt mir nicht ins Haus!" So.
Doch ich wollte mein bürgerliches Recht zum Hunde-halten-Dürfen,
wie einst Bombastus, genannt Paracelsus,
wenn nicht in natura, dann im Prinzip,
sie verstehen schon, beweisen.
Durch die korrekte Anmeldung
beim Standesamt mit Stempel besiegeln
und mit der Entrichtung
der Hundesteuer korrekt regeln.
Endlich hatt’ ich die Erlaubnis.
Hatte also meinen Hund,
wie mach’ ich’s aber kund?
Daß ich ihn habe? den Hund?
Ich mußte also bellen.
Siebzehnmal zeigte er mich an, der Hausbesitzer,
und siebzehnmal blieb er daran hängen,
verliert er alle Prozess’
und dann hat er noch den Streß
zu beweisen in der Polizeipsychiatrie,
daß nicht er halluziniert,
sondern i.
Ich sage aber bei den Be- und Ausfragungen artig,
daß ich in dem kleinen Loch
kein’ Hund besitzen kann,
jedenfalls nicht mehr,
denn das arme Tier verstarb wegen der hierbefindlichen Hitz’,
oder Kälte, je nach Jahreszeit.
— Vadian hieß er, und sie: Emily —
Ob ich ein’ Totenschein besitz’,
vom Hund, und wo ich die sterblichen Reste vielleicht
und in welchem Grund entsorgt habe, ohne Genehmigung.
Ich muß anstrengen meine Phantasie,
daß ich mit dem hausbesitzlosen Hausherrn
und mit dem Hund nicht auf die Nase falle,
oder auf’n Mund.
Grundmundrundsonne Schlund.
Also s’ist mit dieser Welt ein wahres Kreuz!
Es hat sich nämlich herausgestellt,
daß d’Hundesteuer nicht nur am Anfang zu entrichten ist,
sondern jedes Jahr, jeden Monat,
sogar täglich und in bar!
Weil ich halt als PPP-Student
dies nicht wußte, hat man auf mich gehetzt den Polizist,
der in Zivil verkleidet der Exekutor ist.
Damit man auf ihn nicht gleich … eindrischt.
Dabei war ich im naiven Glauben,
daß der Kerl der Fernsehdoktor ist,
da er überall so ein Hansaplast draufgepickt.
Ein bißl kindischer Doktor, dachte ich,
da er so schön gelächelt hat
und zu meinen Geräten so lieb gesprochen:
"Kommst auch du, lieber BONTEMPI,
und alter UHER du", und umklammert hat er
— bei HIS MASTER’S VOICE — den Trichter,
daß er etwas narrisch sei, dacht’ ich mir,
das war auch richtig: das ist er.
Aber dann, als er alles schön zugepickt,
wurde er plötzlich anders:
Das Gesicht nicht mehr in lieblichem Schmunzeln,
die Händ’ nicht mehr, wie soll ich sagen,
fast wie bei IHM, aller Doktor-Ahnen,
liebend-fürsorglich, streichelnd fast, ja.
Nein! Soll das der Fernsehdoktor sein?
Zynisch blinzelt er mich an
und zeigt irgend ‘ne obskure Kartn,
schlagt die Sporen zusammen
und sagt mir: "Warte Burschi. Bis morgen. Warte.
Das ganze Glumpert holt man dir
dann ab. Unser Erfüllungsorgan".
"Was für ein Organ?", frage ich.
Doch er rennt fort mit überheblichem Gesicht.
Jetzt zahl’ ich Steuer für einen Hund,
wau, wau, wau, wau, der Bertl selber ist.

(Bertl singt) Ach Lieb laß dich’s erbarmen,
Ach, Laura, rett mi von dem Hetz’n
dein Vater in die Arme
soll nehmen mi aus’m ewgen Frett’n
Er soll mein Dis so nehmen
wie i es gmacht, s’ist gut so g’wiss.

Sakra noch einmal, Salt, Sulphur und Merkur!
Bombast Baumast
Ich will leben!
Nicht mehr an Hundeketten gebunden
vegetieren!
Mich wie ein armes Schwein hier verkriechen.
(beschwörend) Denn,
was meinem Leibe schadet,
zerbricht das Haus der Ewigen.
— das sagt ER, nicht ich! —
Ich fordere für ihn, für mich,
Schutz und Privilegien!

Es läutet.

BERTL: Ha! Die Ordensleut,
die Exekution,
die Inquisition,
das Vollstreckungsorgan!
Da bleibt nichts übrig,
ich versteck’ mi in meinem wau wau wau Gebell,
heilige Cecilie,
bitte hilf mir dabei!

Während Bertl grölend singt, schaltet er alle seine Geräte ein.
Schließlich setzt er sich auf sein Bontempi mit dem ganzen Hintern und mit beiden Pratzen.
Akkord der heiligen Cecilie.
Es klopft und trommelt am Fenster.
Das Fenster bricht an einer kleineren Unterteilung.
Jemand wirft eine Rose hinein, umwickelt mit einem Brieflein.
Cecilie-Akkord aus. Stille.
Bertl merkt die Rose, da sie ihm hoffentlich auf den Kopf fällt.

BERTL:Was is? Wo sind die Henker?
Ein Briefchen da!

Er rollt das Briefchen auseinander, hebt einen Geldschein und einen Zettel darin heraus.

BERTL: Fünftausend DM!
(liest) Ewig dein, dein’ Laura.
Und fünf große Blaue.
Heilige Maria Mutter Gottes,
und auch du, Cecilie, ich danke Euch.
"Das hab i vom Papa ausgeborgt",
steht hier noch drauf "für di".

(Bertl singt). Also die Kleine stiehlt für mi,
also die Welt ist gut
daß ihren Vater der Ärger frißt
drauf hau i meinen Hut,
daß Herrn Professor der Ärger frißt,
drauf hau i meinen Hut

BERTL: (spricht düster) wo er doch so mei’ Erzfeind ist …
exakt wie Vadian beim Bombast …
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus.
Ja haargenau! Und am Tag, da Vadian in St. Gallen
Bürgermeister wurde, da kam auch der erste Schnee …
Ja, und i — Na Blödsinn! Er, Paracelsus !
verließ die Stadt und wanderte ziellos umher.

Er setzt sich auf sein Uher-Gerät oder sonst auf einen Plattenspieler, der dann gleich losgeht:
Beatles: "Dig it, dig it." Evtl. attacca: "Let it be".